Hafenkatze #8
Interview mit Mathias Düsterdick und Michael Henn, Gerchgroup AG Düsseldorf, zur Entwicklung des Deutz AG Areals im Köln-Mülheimer Süden
von Eva Rusch, icon Kommunikation für Kultur und Wirtschaft GmbH
Ich treffe Mathias Düsterdick, Vorstandsvorsitzender der GERCHGROUP, und Michael Henn, Head of Transactions, im Cecilienpalais in der Emmericher Straße in Düsseldorf. Ein geschmackvoll eingerichteter Bürotrakt mit abstrakten Gemälden an der Wand dient uns als Gesprächshintergrund. Beide Herren sind gut gelaunt – ich auch – und es wird auch gelacht werden. Unser Thema ist die Entwicklung des DEUTZ AG Areals in Köln-Mülheim.
Der Verkauf des größten Quartiers durch die DEUTZ AG für 120 Millionen Euro und weiteren Optionen an die GERCHGOUP geriet nicht nur wegen des abenteuerlichen Preises in die Schlagzeilen. Ein Mitbewerber im Bieterverfahren, der laut eigener Aussagen mehr geboten habe, sprach von Schummel beim Verkauf. Die Deutz AG und das international tätige Maklerbüro JLL dementierten. (Die Kölnische Rundschau berichtete im Mai 2017 > zum Artikel )
Eva Rusch: Herzlichen Dank für Ihre Einladung. Bitte, Herr Düsterdick, stellen Sie das »relativ neue« Unternehmen GERCHGROUP vor.
Mathias Düsterdick: Wir sind ein klassischer bundesweit tätiger Projektentwickler mit Fokus auf große Konversionsflächen. In den letzten Jahren haben wir viele Flächen erworben, in der Größenordnung vergleichbar mit dem Deutz AG Areal. In Hamburg beispielsweise das Areal der Holsten Brauerei, wo wir das »Holsten Quartier« und in Stuttgart den sogenannten »IBM Campus«, wo wir 240.000 qm BGF entwickeln. Wir entwickeln quasi ganze Stadtteile bundesweit. In erster Linie interessieren uns die SF-Klassen Wohnen, Büro und Hotel, natürlich immer mit den Ergänzungsnutzungen zum Beispiel einer Schule, einer Kita, Nahversorgung oder Gastronomie. Das sind die Themen, denen wir uns in erster Linie widmen.
Die GERCHGROUP gibt es erst seit zwei Jahren, der Großteil des Teams arbeitet aber bereits seit 20 Jahren zusammen. Wir waren in Deutschland als SPG Gruppe bekannt. Im Oktober 2015 haben wir unsere Anteile an die PDI veräußert, eine österreichische Gruppe, die Mitarbeiter sind aber mehr als 20 Jahren zusammen. Wir sind also ein erfahrenes Team.
Eva Rusch: Was bedeutet der Name »GERCHGROUP«?
Mathias Düsterdick: Das GER steht für Deutschland und das CH für die Schweiz.
Eva Rusch: Warum die Schweiz?
Mathias Düsterdick: Weil wir viele Schweizer Kapitalgeber haben.
Eva Rusch: Welches Projekt stellt für Sie im Moment das Wichtigste dar?
Mathias Düsterdick: Im Moment haben wir insgesamt zehn Projekte, die wir deutschlandweit betreiben. Davon eines zu priorisieren wäre grundverkehrt. Uns sind alle lieb und teuer. Im Moment machen wir ein Gesamtvolumen von 3,3 Milliarden Euro, die wir in Deutschland entwickeln. Wenn wir uns das Deutz Areal anschauen, wird dieses ungefähr ein Volumen von einer Milliarde haben. Damit stecken wir ca. ein Drittel der Investitionen in dieses Areal. Dadurch hat es schon einen gewichtigen Stellenwert im Development Portfolio.
Eva Rusch: Was planen Sie auf diesem Areal im Mülheimer Süden?
Mathias Düsterdick: Wir bringen jetzt den Bebauungsplan zusammen mit der Stadt zur Rechtskraft. Das ist das Ziel, um dann mit der Bebauung des Areals zu beginnen. Für uns eine klassische Projektentwicklung.
Eva Rusch: Bebauen Sie in Eigenregie?
Mathias Düsterdick: Nein, wir lassen bebauen, wir sind ja kein Bauunternehmer. Aber wir übernehmen als Bauherr die Produktion der Gebäude.
Eva Rusch: Ist Ihnen das städtebauliche Werkstattverfahren ein Begriff?
Mathias Düsterdick: Natürlich ist dieses Verfahren die Grundlage eines Bebauungsplans, um die Bevölkerung in die Planung miteinzubeziehen. Die Bürgerbeteiligung kennen wir auch aus anderen Standorten. In Stuttgart haben wir im letzten Jahr das diesbezügliche Verfahren abgeschlossen.
In Köln sind wir erst später eingestiegen und haben die fertigen Ergebnisse als Grundlage für den Bebauungsplan übernommen.
Eva Rusch: Bislang war für die Deutz AG Michael Zimmermann & Co Urban Architecture Developments tätig. Wie ist das Verhältnis der GERCHGROUP zu Zimmermann und dem Expertenteam DEUTZ AG Areal?
Mathias Düsterdick: Er bleibt involviert, Herr Zimmermann und dessen Büro sind unsere Auftragnehmer. Grundsätzlich beschäftigen wir die guten Leute, die an einem Projekt beteiligt sind weiter. Man muss das Rad nicht neu erfinden. Michael Zimmermann hat hier einen hervorragenden Job gemacht und wird sicherlich auch weiter mit uns als Auftraggeber arbeiten. Wir kennen Michael Zimmermann schon viele, viele Jahre. Er war mit ein Beweggrund, was man klar sagen muss, dass wir uns diesem Areal gewidmet haben und es haben wollten, weil wir gesehen haben, dass hier gute Leute am Werk waren und sind. Mit Profis kriegt man auch professionelle Ergebnisse. Findet man diese vor, macht man mit ihnen auch grundsätzlich weiter.
Michael Henn: Wir wollen das Verfahren auch so schnell wie möglich zu Ende führen. Dazu kann das bestehende Team am Besten beitragen und wir brauchen uns nicht in das laufende Bebauungsplanverfahren einmischen, beziehungsweise dieses auf Null zurückzudrehen. Vom Zeithorizont ist dies am sinnvollsten.
Eva Rusch: Bereits vor einem Jahr, als uns Herr Zimmermann ein Interview gab (Hafenkatze #2), hatte er schon gute und detaillierte Pläne entwickelt. Besonders gefallen hat die Mischung von verschiedensten Milieus bzw. Preislagen der Immobilien.
Städtebaulich betrachtet liegt das DEUTZ AG Areal zwischen Alt-Mülheim als Wohnort mit Mittelpunkt Wiener Platz und Stadtpark und dem bisher nur als Industriefläche genutzten Bereich am Hafen, der bislang noch keine Bewohner hatte. Wie wollen Sie dies zusammenbringen?
Mathias Düsterdick: Nun ist dies eine typische Konversionsfläche, wie wir sie oft in Deutschland vorfinden. Aufgrund der Größe der ursprünglich industriell genutzten Fläche muss man sich klar machen, dass quasi ein neuer Stadtteil entsteht. Das Ziel, eine gemischte Nutzung durch verschiedenen Milieus, geht nur, wenn man sich überlegt, dass man Wohnen und Arbeiten haben möchte, aber auch Kultur und Leben. Man muss natürlich erst mal dafür sorgen, dass Leute da sind. Das heißt, wir brauchen erst einmal einen großen Teil der Flächen als Wohnflächen.
Als nächstes muss man überlegen, wer soll dort wohnen. Für einen Stadtteil gibt es nichts besseres, als eine gute Durchmischung der Leute, die dort leben. Idealerweise bringen wir in einem Haus ein sogenannten Mehrgenerationenwohnen unter. In Erdgeschossen und auch Stadthäusern, die man dort entstehen lässt, sollten überwiegend Familien mit Kindern wohnen. Die gemeine Wohnung, die von groß bis klein sein kann, in der sowohl das Seniorenpärchen leben kann als auch der Student. Schließlich haben wir noch das gehobenere Wohnen, dass heißt, es können durchaus auch teurere Penthäuser dabei sein, wo sich vielleicht das typische Paar, Double Income No Kids, eine tolle Wohnung mit Dachterrasse leisten kann. Genau das ist die Durchmischung, die wir uns vorstellen.
Da wir ohnehin die Auflage für den sozialen Wohnungsbau erfüllen müssen, haben wir bereits die Einkommensschichten »durchjongliert«, so dass man davon ausgehen kann, es wird lebendig.
Eva Rusch: Kleinere Handwerksbetriebe und Ateliers, die zwar nur geringfügig Lärm erzeugen, haben Schwierigkeiten in solchen Quartieren zu bleiben und werden immer weiter an den Stadtrand gedrängt. Das betrifft zum Beispiel auch einen Künstlerkollegen, der hier im Hafen ein Atelier hat, das er bald räumen muss. Gibt es eine Möglichkeit, geschützte Zonen für emittierende Handwerksbetriebe und Künstlerateliers auf dem Areal einzurichten?
Mathias Düsterdick: Also es ist schwierig, das alles zu erhalten. In Hamburg machen wir es so, dass wir in einer durchaus bemerkenswerten Größenordnung sogenannte Handwerkerhöfe unterbringen. Das ist sicherlich auch eine Option hier. Ob und wie man das unterbringen kann, ist aber noch ein bisschen früh. Wir haben das Areal erst vor wenigen Wochen erworben. Das Thema Handwerkerhöfe beschäftigt uns und wir prüfen auf alle Fälle, wie wir diese auch hier unterbringen können.
Eva Rusch: Jetzt von der gewerblichen Nutzung zur privaten. Wie sieht es mit Baugruppen aus, mit Privatpersonen, die sich zusammenschließen mit dem Ziel, gemeinsam zu bauen, zum Beispiel Familien und Senioren. Sehen Sie auf dem Areal die Chance, solche Vorhaben zu verwirklichen?
Mathias Düsterdick: Ja, das Areal ist sehr groß, wir reden über 300.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche, die hier kommen soll. Wenn die entsprechende Nachfrage da ist, werden wir uns sicherlich nicht scheuen, ein Grundstücksteil an eine Baugruppe zu veräußern, die dann selbst ihre Gebäude errichtet. Wir sind dafür offen.
Erst muss aber der Bebauungsplan rechtskräftig werden. Das ist unser momentanes Ziel. Dann sind wir für viele Richtungen offen.
Das ist ja ein riesiges Areal in Gesamtschau mit den anderen Investoren betrachtet, wobei das Areal der GERCHGROUP das größte ist, wegen seines tortenstückförmigen Zuschnitts jedoch kleiner erscheint und bisher nicht zugänglich war.
Eva Rusch: Richtig, es ist sozusagen ein Stück »Gated Industry Community«.
Wie stellen Sie sich die Nachbarschaft der einzelnen Quartiere vor? Wie kann man es schaffen, dort einen funktionierenden Stadtteil zu erschaffen?
Mathias Düsterdick: Da sind wir wieder beim Thema »Durchmischung«. Ich kriege ja letztendlich ein Stadtteilleben nur hin, wenn man alles vorfindet, was man zum Arbeiten und in der Freizeit benötigt. Wir freuen uns immer, wenn wir eine Schule bauen können, Kitas unterbringen und Nahversorgung und Räume für Gastronomie. Das sind alles Themen, die zum Wohnen dazugehören. Sind sie vorhanden, funktioniert auch ein Stadtteil.
Eva Rusch: Die Entwicklung des DEUTZ AG Areals muss man im Zusammenhang mit den anderen Quartieren Lindgens Areal, Otto-Langen-Quartier und Cologneo sehen. Es gibt das Ergebnis des Werkstattverfahrens, das als Masterplan für das Gebiet gelten kann – so mit der Wegeführung und weiteren Vorgaben.
Mathias Düsterdick: Ja, das ist die Grundlage des Bebauungsplans. Die Wegebeziehungen sind ganz wichtig. Im Moment ist es ja noch ein geschlossenes Gelände, das noch kaum jemand kennt und nicht richtig wahrnimmt. Zukünftig wird das ein zu allen Seiten, von der Bahnlinie abgesehen, geöffneter Stadtteil werden. Dadurch entsteht automatisch eine Vernetzung mit der Umgebung. Wichtig ist natürlich zu schauen, was auf den anderen Flächen entsteht. Man muss schließlich nicht alles siebenmal bringen. Was beispielsweise die Nahversorgung angeht, macht es wenig Sinn, wenn in allen Projekten ein Aldi drin ist. Wenn in einem ein Aldi entsteht, machen wir lieber den Bio-Supermarkt oder umgekehrt, um eine Ergänzung zu haben. Es ist ganz wichtig, sich aufeinander abzustimmen.
Eva Rusch: Wer konkret hält dieses größere Bild zusammen und koordiniert?
Mathias Düsterdick: Ich glaube, dass Herr Höing, Baudezernent der Stadt Köln, ein Auge darauf hat und einen tollen Job macht, aber letztendlich ist es die Aufgabe der Investoren und Projektentwickler darauf zu achten und sich abzustimmen. Wir sind sehr offen und haben die Entwicklung im Blick und suchen jederzeit das Gespräch dazu. Ich hoffe, das gilt auch für die anderen Entwickler. Wir wollen jedenfalls, dass hier was Gutes entsteht und sind achtsam. Wir wollen später stolz darauf sein, was hier entstanden ist. Das liegt uns sehr am Herzen. Wir sehen die Verantwortung, die wir hier tragen.
Michael Henn: Wir stehen in direktem Austausch mit NRW Urban auf dem gegenüberliegenden Nachbar-Grundstück. Wir haben auch noch zwei Parzellen auf dem Otto-Langen-Quartier mit knapp 14.000 Quadratmetern Brutto-Geschoßfläche, die in deren Bebauungs-Plan mit drinnen liegen. Das bedeutet schon automatisch einen regen Austausch in den nächsten Monaten und Jahren. Zudem sind wir mit Herrn Hamacher, der das Lindgens-Areal entwickelt und eine kleinere Enklave auf unserer Seite der Straße hat, im Gespräch und es stehen weitere Termine an.
Der aktive Austausch hat schon stattgefunden beziehungsweise findet weiter statt. Wir haben ja Abhängigkeiten zueinander, miteinander. Wir als DEUTZ AG Areal Eigner sind maßgeblich für die Verkehrsführung und Erschließung verantwortlich, da der verlängerter Arm des Auenwegs bei uns durchgeht, der massiv zur Entlastung des gesamten Gebietes sorgt. Über den der Messeverkehr und die Erschließung des Areals läuft. Wir stehen zu diesem Thema auch mit der Stadt in intensivem Austausch. Durch das Schlüsselgrundstück am Auenweg sind auch die anderen Investoren auf uns angewiesen, weil ohne gutes Verkehrskonzept die Bebauungspläne nicht realisierbar sind.
Eva Rusch: Also ergibt sich ein enges Beziehungsgeflecht, in dem der eine mit dem anderen Hand in Hand arbeiten muss.
Michael Henn: Wir stehen mit den anderen Entwicklern in regem Austausch. Das ist hier kein »closed Job«, sondern wir stimmen uns ab. Die Stadt hat aber federführend die Hand drüber, und schaut, dass alles seine geordneten Verlauf nimmt.
Eva Rusch: Es gibt eine Interessengemeinschaft beziehungsweise Eigentümergemeinschaft, die ein Mobilitätskonzept kommunizieren. Herr Raßfeld ist der Sprecher der Gruppe. (Vergleiche Hafenkatze #6). Wie stehen Sie dazu und zu der in Frage stehenden Straßenbahn?
Mathias Düsterdick: Wunderbar finden wir das. Die Straßenbahn ist das wichtigste ÖPNV-Modell vor Ort. Wir haben ja mit der Grünstraße bereits die Straßenbahn direkt angrenzend an unser Grundstück liegend. Für uns ist daher die Verlängerung der Stadtbahn über die Deutz-Mülheimer Straße nicht elementar. Wir halten es aber für Mülheim insgesamt für gut, das Straßenbahnnetz zu erweitern.
Ansonsten ist das ganz große Thema, das wir aber bei allen Projekten in Deutschland verfolgen, nämlich Mobilitätskonzepte, E-Mobilität aber auch Sharing-Konzepte aufzubauen. Das machen wir bereits seit vielen Jahren. Vor acht Jahren haben wir schon das erste Elektro-Car-Sharing-Modell in einem Wohnhaus untergebracht. Das waren zwei Elektro Smarts, die dort durch die Hausverwaltung mit verwaltet wurden und jeder Bewohner nutzen konnte. Neue Systeme sind das also für uns nicht, nur die Maßstäbe haben sich verändert bei einem Quartier dieser Größenordnung.
Über die Autos bis zu den Elektrofahrrädern gibt es Möglichkeiten der Elektromobilität. Wir schauen, mit welchem Partner wir diese umsetzen wollen und werden. Der Zeitpunkt ist aber jetzt noch zu früh. Wir sind mit dem Thema aber beschäftigt und wollen innovative Konzepte bringen. Mit Blick auf Stuttgart sind dort insbesondere die Automobilkonzerne sehr interessiert, sich an Ausschreibungen zu beteiligen, um den richtigen Partner zu finden. In ähnlicher Weise werden wir dies auch auf dem DEUTZ AG Areal umsetzen.
Eva Rusch: Sehen Sie das auch in einer Gemeinschaft mit den anderen Investoren?
Mathias Düsterdick: Das kann auch in einer Gemeinschaft stattfinden. Die Gespräche haben wir noch nicht geführt. Wir brauchen aber, wenn man ganz ehrlich ist, diese Gemeinschaft nicht unbedingt. Unser Areal ist so groß, dass man auch ein autarkes System entwickeln kann.
Eva Rusch: Würden Sie dennoch zur Finanzierung des Teilstücks der Straßenbahn beitragen?
Mathias Düsterdick: Es ist zu früh, um hierzu eine Entscheidung zu treffen. Prinzipiell sind im Moment mehrerer Verkehrsgutachten in Auftrag gegeben, die wir erst einmal abwarten müssen, um dann zu sehen, was Sinn macht, was wir brauchen. Generell ist es wünschenswert, die Stadtbahn zu verlängern. Dennoch muss geprüft werden, welchen Sinn dies macht, welchen Nutzen haben wir davon, wer profitiert, wie sieht es mit der Kostenplanung aus.
Eva Rusch: Sie warten also erst diese Expertisen ab. – Jetzt zu meinem Steckenpferd, die Industriegeschichte. Der gesamte Mülheimer Süden wird bereits behandelt unter dem Namen »Via Industrialis«. Professor Buschmann ist seit Jahren im Bereich Industriearchitektur Denkmalexperte und auch er bezeichnet den Mülheimer Süden als »Wiege der Weltmotorisierung«.
Mathias Düsterdick: Ja, da ist was Wahres dran. Wir haben hier einen großen Namen, das stimmt schon.
Eva Rusch: Hier wurde der Otto-Motor zu Marktreife gebracht und in die Welt hinaus geschickt. Dort gab es neben van der Zypen und Charlier, die Eisenbahnwaggons hergestellt haben und mit ihren Waggons geradezu das Fernweh wecken, Lindgens & Söhne mit chemischen Produkten und Bleifarben, mit denen sie Weltmarktführer waren. – Bleifarben hinsichtlich des Umweltaspekts kein schönes Thema, aber wichtig für die Industrialisierung.
Dieses ganze Gebiet des Mülheimer Südens war in der industriellen Gründerzeit ein Quartier der genialen Ingenieure. Dort wurde erfunden, gemacht und getan. Dieser Geist könnte wieder zum Leben erweckt werden durch innovative Konzepte. Wie, wäre zu klären.
Vielleicht sollten wir besser die Künstler fragen.
Mathias Düsterdick: Nun gut, wir haben letztendlich nur diese Areal und schauen, wie wir damit zum Großen und Ganzen beitragen können. Zum Beispiel war das Erste, dass wir uns gesichert haben, der Name. Wir dürfen das Projekt »Die Deutz Quartiere« nennen.
Zum anderen sind wir natürlich immer darum bemüht, identitätsstiftende Gebäude und Gebäudeteile zu erhalten und einer guten Nachnutzung zuzuführen. Neben den denkmalgeschützten Gebäuden finden wir vielleicht noch die ein oder andere Ecke, die erhalten bleibt, um zu erinnern, was dort einmal war. Das ist uns ganz wichtig.
In Passau haben wir zum Beispiel ein altes Brauereigelände erworben. Nach längerer Untersuchung fanden wir leider nichts Erhaltenswertes. Wir erhalten aber den Namen und werden mit Gedenktafeln an die Geschichte des Geländes erinnern.
Das wollen wir auch hier, daran erinnern, was an diesem Ort historisch geschehen ist und wie er gewachsen ist.
Eva Rusch: Ein Gesamtbild unter Einbeziehung der anderen Projektentwickler wäre wünschenswert.
Mathias Düsterdick: Moderation und Mediation durch Engagierte, wie Sie, die das Große und Ganze im Blick haben, oder die Stadt, sind hier äußerst wichtig. Für die Stadtteilentwicklung und um übergeordnet die Beteiligten zusammen zu halten, ist eine unabhängige Betrachtung hilfreich.
Eva Rusch: Gehen wir nochmal zurück zu den denkmalgeschützten Hallen auf dem Deutz AG Areal. Sie haben auf ihrem Grundstück große Hallen, in denen schon die Bäume wachsen. Man könnte das Gebiet geradezu als »archäologische Zone« bezeichnen. Was haben sie mit den industriehistorischen Gebäuden vor? Es kann ja nicht nur um deren Erhaltung gehen, sondern sollte auch den Menschen dienen.
Mathias Düsterdick: Das Thema ist immer, wie nutze ich die Flächen später. Es bringt ja nicht viel etwas zu erhalten, für das man keine Nutzung findet. Das ist die Kunst, zu gucken, ob man nicht auch Teile der Hallen erhalten kann. Es gibt hier ein schönes Beispiel aus Düsseldorf. Dort hat man in alten Straßenbahnhallen Wohnen entwickelt. Man hat im Grunde genommen die Mauern stehen lassen und neue Gebäude in die alten Hallen rein gebaut. Man kann mit solchen Hallen vieles machen, aber man muss es eben in Ruhe untersuchen und Konzept dafür entwickeln und baulich umsetzen. Die Nutzung muss aber immer im Vordergrund stehen, das ist ganz entscheidend.
Eva Rusch: Nun zu dem Grünzug, der teils auf dem ehemaligen Parkplatz entstehen soll, und wo die einfachen Hallen abgerissen werden. Ein großer Grünzug ist unbedingt wünschenswert. Leider ist zu beobachten, das Grünflächen bei Neuplanungen und deren Realisierung immer kleiner und kleiner werden.
Mathias Düsterdick: Für uns ist dieser Grünzug auch ganz wichtig. Wir sind gerade dabei für das Areal ein sogenanntes Grünanlagenkonzept entwickeln zu lassen. Ich glaube nicht, dass das immer kleiner und kleiner werden wird, bei der Fläche, die wir haben. Aber auch hier zunächst die Prüfung, wie wird dieses Grün genutzt. Es ist wichtig, dass wir dort Spielflächen haben, Ballwiesen, vielleicht sogar einen Abenteuerspielplatz oder ähnliches. Eine Wiese muss auch eine Funkion haben. Einfach nur Wiese ist »blöd«. Wir erleben immer wieder, dass den Leuten das Thema Sport am Herzen liegt, da alles was Sport anbelangt immer mehr an den Stadtrand gedrängt wird. Ähnlich wie es den Künstlern mit ihren Ateliers geht, verschwinden auch immer mehr Fußballplätze oder generell Sportvereine. Auf so einer großen Wiese könnte man auch wunderbar einen Sportplatz unterbringen. Leider haben wir in unserer Baugesetzgebung noch viele Hürden für so etwas, weil heute ein Sportplatz der dicht am Wohnen liegt, wegen des entstehenden Lärms immissionsschutzrechtlich als problematisch gesehen wird. Was eigentlich schrecklich ist, denn das eine gehört zum anderen dazu. Wir versuchen ein gutes Konzept zu finden. Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse. Eins ist jedoch klar, wir wollen den Grünstreifen in jedem Fall erhalten.
Eva Rusch: Es war ja auch im Gespräch einen Erlebnispark zum Thema Industriegeschichte zu machen. Ist Ihnen das bekannt?
Mathias Düsterdick: Ja, wir haben davon gehört. So etwas ist natürlich immer schwierig. Jemand muss dies ja später betreiben.
Eva Rusch: Nun gut, es ist schwierig und nur einzelne Gedenkstelen greifen zu kurz. Mir scheint es interessanter, das gesamte Areal als großen Erlebnisraum zu sehen. Eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Naherholung, aber auch Tourismus könnte ich mir vorstellen.
Mathias Düsterdick: Das kann es sicherlich. Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir auf dem Areal ein Hotel unterbringen. Ich kupfere wieder etwas ab von den »Holsten Quartieren« in Hamburg. Dort ist es uns gelungen, dass die Holsten Brauerei, die den Standort erst einmal verlassen wird und am Stadtrand eine neue Brauerei errichtet, ein Stück weit wieder zurückkommt. Sie wird zum Beispiel ihre Marketingabteilung in einem Neubau einrichten und in einer Hausbrauerei dort wieder Holsten Bier brauen. Dort ist gut gelungen, an das was einmal war, anzuknüpfen. In einem solchen Fall ist man natürlich immer abhängig vom Namensgeber, also der Deutz AG, und wie diese sich vorstellen kann, hier etwas zu machen.
Vorstellbar ist durchaus ein kleines Deutz-Museum, was aber nur funktionieren kann, wenn die Deutz AG mitzieht. Gespräche dazu haben wir noch nicht geführt. Wie gesagt, dafür ist es noch zu früh.
Eva Rusch: Nun kommen wir noch einmal zum Zeitrahmen. Wann geht es los?
Mathias Düsterdick: Eine Antwort ist schwierig. Wir haben nur einen groben Fahrplan. Wir gehen davon aus, dass wir den Bebauungsplan bis Ende nächsten Jahres stehen haben.
Eva Rusch: Also Ende 2018?
Mathias Düsterdick: Ja, wir gehen davon aus, dass wir dann Anfang 2019 mit dem Abbruch beginnen können. Baubeginn auf dem Areal und den ersten Baufeldern wäre grob gerechnet Anfang 2020. Irgendwo bei Mitte 2021 wäre mit der Fertigstellung der ersten Wohnungen zu rechnen und die ersten Bewohner könnten in den »Deutz Quartieren« leben.
Eva Rusch: Wo auf dem Areal wollen Sie beginnen?
Mathias Düsterdick: Das ist noch nicht geklärt und hängt vom Baustellenkonzept und Marketingstrategien ab.
Eva Rusch: Resümee: Was wünschen Sie sich von dem Areal – auch in gesellschaftlicher Hinsicht?
Mathias Düsterdick: Von der unternehmerischen Ausrichtung gesehen ist natürlich klar, dass wir Geld verdienen wollen, sonst würden mir unsere Aktionäre nahe legen, sich einen anderen Job zu suchen. Der unternehmerische Fokus ist also dabei wichtig, aber wir wollen ein lebendiges Stadtquartier, einen lebendigen Stadtteil schaffen, der auch nachhaltig funktioniert. Der Arbeiten, Freizeit und alles, was dazu gehört, in dem Areal unterbringt. Wir wollen eine gute Durchmischung haben. Wir wollen ein Quartier haben, durch das man nach 2021 voller Stolz laufen kann und sich freut, dass es funktioniert. Funktionsfähig, ist ganz, ganz wichtig.
Vor einigen Wochen habe ich ein Interview in der FAZ zum Thema, wie Quartiere heute aufgestellt sein sollen, geführt. Das passt zu unserem Thema gut. Durchmischung der Quartiere bezieht sich nicht nur auf ein Areal, sondern ist überall ein Thema und ähnlich gefragt.
Eva Rusch: Vielen Dank für das Interview!
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